Form & Materie: Ein Dialog Galerie am Wartberg

Ausstellung I November 1998 I Galerie am Wartberg in Wertheim (D)

Form & Materie: Ein Dialog Galerie am Wartberg

Beim ersten Rundgang durch die Ausstellung heben sich zwei Werkkategorien in Beatrice Staubs Arbeiten voneinander ab: die meist grossformatigen, dichten und schwer wirkenden Gemälde-Collagen und die hauchzarten fast schwebend leichten Zeichnungen, die auch, als hätte sich das Motiv vom Bildträger gelöst, als Objekte aus Draht im Raum stehen. Der nach Klassifizierungen Suchende mag daraus schliessen, die Entwicklung der 1961 in Winterthur geborenen Künstlerin gehe vom massig Kompakten ins transparent Grazile, vom Gewichtigen in die unerhörte Leichtigkeit des Seins. Doch das ist ein Trugschluss, wenn auch ein sehr fruchtbarer Trugschluss. Denn er benennt wohl die beiden Pole von Beatrice Staubs Schaffen, übersieht aber, dass bei ihr kein chronologisches Hintereinander waltet, sondern ein lebendiges Miteinander, das in jeder einzelnen Arbeit, einmal deutlicher, einmal verborgener steckt.

''Form und Materie: ein Dialog'' hat Staub ihre Ausstellung genannt. Schon das weist darauf hin, dass hier kein kontinuierlicher Prozess von der ungeschlachten Materie zu dieser Materie abgetrotzten Form beschrieben ist, sondern ein Austausch zwischen zwei Schaffungsmethoden, ein Austausch auch zwischen zwei prägenden Richtungen der heutigen Kunst.

 

Die eine Richtung macht die Materialien, mit denen der Künstler umgeht, nämlich Farbe, Leinwand (o.ä.), auch Fundstücke aus der Realität zum eigentlichen Inhalt eines Bildes. Hier fügt der Künstler eigentlich Disparates zusammen, klebt aufeinander, häuft Farbschicht auf Farbschicht, bis sich eine veritable Masse bildet. Er kratzt und gräbt, schleudert Farbspritzer, presst Objekte ein- und langsam verwandelt sich das rohe Material in ein stimmiges Relief aus Vertiefungen und Höhen, Farbinseln, gestischen Arbeitsspuren und Wirklichkeitsrelikten, kurz in ein ''Materialbild''. (Tapies) In einem Materialbild wird das Stoffliche zum alleinigen Ausdrucksträger.

 

Die andere Richtung arbeitet mit streng abgegrenzten, geometrischen oder- seltener- vegetativen Formen, die das genaue Gegenteil der Materialbilder sind. Künstler dieser Gattung (z.B. Mondrian) stellen dem Sturm der Schaffenslust ein Gerüst der Ordnung gegenüber, dem thematisierten kreativen PROZESS die IDEE der Regelmässigkeit, des Gesetzes, der Klarheit. Gerade weil diese Klarheit der absoluten Form in der Realität selten oder nie zu finden ist, bedeutet diese Art Malerei einen Idealentwurf gegen die von Zufällen und Unordnung gesteuerten Wirklichkeit. Hier also der Werkprozess selbst, das Machen des ''Homo ludens'' - das Intellektuelle, Konstruierende, Ideale des ''Homo faber''. In Beatrice Staubs Arbeiten aus den Jahren 1996 bis 1998 stossen die beiden Pole aufeinander und gehen in fast jedem einzelnen Bild einen vielfältigen Dialog miteinander ein.

 

Kurz zur Biographie: nach einer Lehrerausbildung an der Universität Zürich entschloss sich Beatrice Staub 1990 zu einer Künstler-Laufbahn. Weiterbildungskurse an der Hochschule für Gestaltung Zürich und vor allem Studien an der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst in Salzburg führten sie von der gestischen Abstraktion zu eben jenem Stil, den Sie heute kennenlernen. 1996 war ein Schlüsseljahr für Staub. Um ''komplexer und sensibler zu werden'' - wie sie sagt - entschloss sie sich, die Farben ganz auf das Thema ''Weiss'' zu reduzieren und den drängenden Pinselschlägen eine Ordnung, zuerst einmal das ''Quadrat'' gegenüberzustellen. Dass sie darüber keine geometrische Malerin à la ''Weisses Quadrat weiss. Staub faltet das Spektrum ''Weiss'' in ihren Acrylfarben bis in erdig warme Töne und in gelbliche Lichtspeicher. Auch verwendet sie niemals das geometrisch saubere Quadrat, sondern eine quadratähnliche Form mit abgerundeten Ecken, eingedellten Kanten, unregelmässiger Passform. Sie sucht nicht das rein Absolute, vielmehr ein vom Leben, ins Leben Anverwandeltes.

 

Wie massige Steinquader für archaische Mauern, wie grob zugehauene Felsbrocken für antike Tempel wuchtet Staub in ihren Gemälden von 1996/1997 die Formen übereinander. Es schmeckt nach Sisyphosarbeit und Kyklopenfleiss was sich da aufbaut, und hinter der festverschlossenen Tür scheinen Ödipus und Klytaimnestra mit ihren Urängsten, Urleidenschaften und Urtrieben zu wohnen. Andere Bilder wieder führen wie Gänge vom Dunklen in einen hellen Hintergrund, als zöge sich eine Schleuse aus dem verschatteten Diesseits in ein lichterfülltes Jenseits. Räume tun sich auf, die den Betrachter sowohl in das Bild selbst, wie in eine innere Konzentration hineinführen. ''Behausungen'' nannte Staub ihre Ausstellung Anfang 1998 in Winterthur und meinte mit dem Titel Faktisches - und Emotionales, Räume also, die sowohl illusionistisch wie suggestiv sind. Doch dies sind nicht die einzigen, ja nicht einmal die wichtigsten Räume bei Beatrice Staub. Der wichtigste Raum von Staub liegt nicht in einer imaginierten Bildtiefe, sonder VOR dem Bild. Durch Collagenteile, sichtbar oder auch unsichtbar mit dem Bildgrund verbunden, ragt das Bild nach vorn, in den Betrachterraum hinein, wird Teil des Realraums und überspringt damit eine magische Grenze. Das geschieht in den frühen Bildern noch ganz unauffällig, so dass oft nur der Finger Collage und Malerei unterscheiden kann. Das Auge erkennt aber die unterschiedlichen Oberflächenstrukturen, die so wichtig bei Staub sind. Glattes, ja Glänzendes lagert da neben Rauhem, poröse Strukturen neben versiegelter Dichte, gestisch hingewirbelte Pinselstriche neben ruhigen Pinselzügen. In ihren ''Dreizeilern'', betont waagrechten Bildern, bei denen sich das Weiss der Grundierung wie Sehschlitze in ein farbiges Innenleben öffnet, ist diese Methode am deutlichsten. Auch die Zeichnungen sind davon geprägt. Hier mag man an Schriftzüge denken, an verschiedene skripturale Rhytmen und Temperamente. Diese Polyvalenz, die Staub in den früheren Bildern durch Farbauftrag und Malduktus erreicht, wird ihr später zum tragenden Prinzip. Nun nimmt Staub verschiedene Materialien - Papier, Jute, Baumwolle, Silberfolie, Schmirgelpapier und diverse Fäden und Schnüre, - integriert sie in die unzähligen Farbschichten, drückt sie, getränkt mit Farbe, auch ab, legt übereinander, malt darüber und darunter, überklebt mit Transparent- oder Seidenpapier, fügt Fliegengitter ein. Und so schafft sie, Schicht auf Schicht legend, einen Bildkörper, eine sinnlich erfahrbare Bildgestalt. Manchesmal meint man Figuren darin zu erkennen. Doch diese Figuren sind von der Künstlerin nicht geplant, sondern sie ergeben sich aus dem Arbeitsprozess, wie andere Formen sich ergeben. Sie sind nicht Ziel. Sie sind eine von vielen möglichen Erscheinungen, Varianten, ungreifbar auch wie Schemen, momentane Ergebnisse eines dauernden Wandlungsprozesses.

 

Varianten. Auch dies ist ein Schlüsselwort für Beatrice Staubs Schaffen. Nachdem sie das Quadrat, das sie nie in seiner artigen Akkuratesse eingesetzt hatte, ausgereizt war und sich als zu sperrig erwiesen hatte, fand sie zu einer Form, die sie bis heute begleitet; zur Lanzettform. Intuitiv, sagt sie, sei sie zu dieser Form gelangt, die für sie sowohl formal variabel wie inhaltlich von hohem Symbolwert sei. Die Lanzettform besitzt nämlich einerseits die Kraft und die Absolutheit, die jede einfache, konzentrierte Form hat, und die Staub so sehr schätzt. Andererseits aber weist sie, entgegen dem rigiden Quadrat, auf Lebendiges hin. Sie mag an einen Keim, einen Fruchtkern, ein Blatt, eine Spindel, einen Tropfen, eine geschliffene Linse, ja sogar an eine Bewegungsfigur erinnern. Sie umschliesst, bergend wie zwei Hände oder ein Kokon, einen Innenraum und mit ihren beiden Spitzen und der Schwellung in der Mitte ist sie zweifellos dynamisch, wenn auch gezügelt, und vegetativ, wenn auch abstrahiert.

 

Diese Form nun dekliniert Staub durch alle bildnerischen Möglichkeiten hindurch. Sie schneidet sie aus verschiedenen Werkstoffen aus und klebt sie auf den Bildgrund wie ein Botaniker seine Pflanzen oder Käfer als wissenschaftliche Belege der Vielfalt der Arten ordnet. Sie blendet dem bezeichneten Untergrund die Negativform auf Transparentpapier vor und erhält spannungsvoll geordnete Einblicke auf Grund und Unterzeichnung. Sie schneidet sich Schablonen, deckt ab und sprüht Grafitpulver um die Form oder sie verschiebt die Schablone und zeichnet mit Kugelschreiber, Bleistift oder Ölkreide die Konturen nach. Je nach Technik herrscht einmal das Malerische der weich getönten Fläche oder das Zeichnerische der Umrisslinien vor. Kreisende Schraffuren oder malerische Farbflechten beleben den Innenraum der Form. Sie macht den Innenraum transparent und entdeckt Kraftlinien des Wachstumsprozesses. Sie überlagert ihn mit Streifen oder gibt den schwarzen Formen weisse Schatten, die in einen Raum hineinzuloten scheinen. Sie reduziert die Form auf Umrisse und lässt die lebhafte Binnenzeichnung an den Konturlinien wie an einem Käfig rütteln. Sie drückt die Form ab oder klatscht sie ab, sie fragmentiert sie zu anderen Formen, löst sie zur leichten Wellenlinie, lässt sie als Kurve über ein Blatt laufen. Recht früh fügt sie als neues Motiv zur Blattform einen gestischen Faden, mit dem sie Form und Raum verknüpft und neue Akzente setzt. Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendein Künstler vor ihr, einer ähnlich schlichten Form einen solchen Reichtum abgewonnen hat. Ihre Veränderungen sind stets minimal - doch aus jeder Veränderung entsteht ein völlig neues Bildkonzept. Und über die Veränderung der Form erfährt man Neues über die jeweils angewandte Materie. Fotos setzt sie in neuester Zeit ein, Fotokopien von ihren eigenen Fotos. Doch all das macht ihre Bilder nicht realistischer, sondern nur geheimnisvoller und rätselhafter. Es ist merkwürdig: je klarer ihre Arbeiten in der Form werden, umso unklarer wird die Identifizierung ihrer Materialien. Es ist, als wolle sie uns zeigen: die Dominanz der Form verunklärt und verfremdet den Stoff. Die Dominanz des Stoffes dagegen bedrängt die Form. Sie aber schiebt die Gewichte hin und her und zielt auf den Punkt, an dem das empfindliche Gleichgewicht zwischen Stoff und Form noch nicht gestört ist und beide leicht und sich bereichernd beieinander wohnen.

 

Hier im oberen Stock der Galerie sind vor allem Arbeiten aus jüngster Zeit zu sehen, sie sich so einfach dem Blick zu offenbaren scheinen. Es sind vor allem Zeichnungen, einige Gemälde und zwei Plastiken, in denen sichtlich wieder die Lanzettformen vorherrschen. Jetzt haben die Arbeiten alle Schwere verloren. Selbst die Plastiken und die Gemälde sind voll Transparenz, mehr Lichterscheinung als veritable Farb- oder Materialmasse. Ein Rohr aus Fliegengitter umhüllt eine Form, die nur durch weisse, weich geschwungene Fäden sichtbar ist. Selbst das ''Kissen'' ist eigentlich der bearbeitete Hohlraum, der zwischen diversen Lanzettformen entsteht. War zuvor Körper und Material ihr Thema, jetzt ist es Linie und Raum. Hinter weissem und schwarzem Fliegengitter tanzen gleichsam entrückt Linien, die leichthin- und doch genau konstruiert - eine Form bilden. Auf schwarzem Papier heben sich weisse Gebilde ab, die keinen Körper haben, sondern wie Quallen nur aus Oberfläche und Hohlraum zu bestehen scheinen. Hat Beatrice Staub früher ihrem Material die Form angetrotzt, so ist jetzt die Form allein noch sichtbar- und diese Form umgibt den unsichtbaren Raum oder das Nichts. Dadurch aber wird das Unsichtbare sichtbar, erhält Form und Gestalt, wird Materie, wird greifbar, erfahrbar, nicht länger ''Nichts'', sondern ''Etwas''. Beatrice Staub ist einen schweren Weg gegangen. Zuerst hat sie die formlose Materie zur Form gefügt. Dann hat sie im ebenfalls formlosen Immateriellen ebenfalls eine Form gegeben und hat es dadurch materiell gemacht. Dadurch erweitert sie nicht nur unser Fassungsvermögen, sondern auch unsere Welt. Am Schnittpunkt zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem, Materie und Geist baut sie ihre Bilder, die in ihren Formen ein Tor zwischen dem Greifbaren und dem Ungreifbaren werden. Doch sie mystifiziert nicht. Sie legt Werkprozesse offen dar, so dass der aufmerksame Betrachter die Herstellung der Idee verfolgen kann. So bleibt das Thema dieser Ausstellung nicht länger Behauptung, sondern wird eine Tatsache: Form und Materie: ein Dialog.

 

Dr. Eva-Suzanne Bayer, Würzburg